Wie Potsdam in Moskau die HSE Open 2010 gewann

Ein Sprachkurs in Moskau führt einen zu dem Problem: Wie praktizieren, wo Menschen kennen lernen, um über Land und Leute zu reden? Natürlich in Debattierclubs. Drei gibt es in Moskau, die auf Englisch debattieren. Der Club der Higher School of Economics veranstaltete am 20. und 21. März sein erstes Turnier, die HSE Open, auf Englisch.

Mit Anna Dotsenko, einer 19-jährigen Informatik-Studentin aus Moskau findet sich ein ambitionierte Partnerin. Sie debattiert, wie auch ihr Freund, seit mehreren Jahren, möchte später ihre eigene Firma gründen, macht neben Informatik auch Wirtschaft und lernt  Deutsch. Sie war auf den Weltmeisterschaften in Antalya. Eine erfahrene Debattierin.

Welchen Teamnamen sollen wir nehmen? Es böte sich sovieles an, erstmal denken wir an Deutsch-Sowjetische Freundschaft, entscheiden uns dann aber dagegen, auch Tauroggen erscheint uns zu kriegerisch. Bestand hat zunächst Schröder und Putin und damit meldet Anna uns auch an. Das Turnier ist zwar in Englisch, aber das Formular auf russisch.

 

Später jedoch wechseln wir den Team-Namen - Es ist ja Tradition hat, dass sich Potsdamer Teams stets mit einer Potsdamer Sehenswürdigkeit verknüpfen (sei es Sanssouci oder Metropolis) also entscheiden wir uns für Potsdam Alexandrowka, nach der Kolonie für die Sänger des russischen Soldatenchores, welche die preußische Armee in den napoleonischen Kriegen unterstützten und danach in Preußen bleiben.

 

Der Beginn ist für 13 (!) Uhr geplant, es wird 14 Uhr. Die Stimmung ist von Anfang an gut. Es gibt einen lustigen Einspielfilm über die Ängste des Debattierers, unterlegt mit Szenen aus Hollywoodfilmen.  In einer Nachsynchronisation zu Avatar heißt es: Dieses Haus glaubt alle sollten blaue Haut haben. Dabei ist das doch Status quo. Ein anderer Alptraum wären die Streitshows im russischen Fernsehen, deren Teilnehmer sich nur beleidigen. Das schlimmste für einen Debattierer: Das frühe Aufstehen nach durchzechter Nacht. Daher fangen wir wohl auch erst am Nachmittag an. Die Stimmung ist jedenfalls gut.

 

Die meisten Debattierer kommen aus Moskau aber es gibt auch Teilnehmer aus Kiev oder Abchasien. Was auffällt ist der Hohe Frauenanteil unter den Debattierern, aber auch dazu später mehr.

 

Die erste Motion: THW prohibit short sellings of vanilla in March 2010. Als jemand, der kürzlich ein halbes Kilo Vanille gekauft hat, fühle ich mich in dem Thema natürlich sofort zu Hause. Aber das war nur ein Scherz. (Die Motion, nicht mein halbes Kilo Vanille) Während Die erste Motion: THW prohibit couples over 45 to give birth to children.

 

Die Frauen-Männer-Quote in unserem Raum liegt bei 5 zu 3… drei Männer. Potsdam Alexandrowka in der schließenden Opposition sagt, dass Menschen mit 45 viel rationaler sind und ihre Gene sich doch schon bewährt haben (Lebenserwartung für Männer in Russland: 59.)

 

Die nächste Motion: THW tax unhealty food. Die Quote liegt wieder bei 5 Frauen und drei Männern. Im Raum treffen wir auf einen ganz besonderen Juror: David Powell, früherer Präsident des Oxforder Debattierclubs (nur bekannt als The Union oder Oxford Union) Er arbeitet seit ein paar Jahren in Moskau bei der Boston Consulting Group und debattiert in Russland (auf Russisch) Er hat gar schon einige Turniere gewonnen. In der schließenden Regierung landen wir auf Platz zwei (geschlagen von zwei Rednerinnen des Teams aus Kiev-Moskau mit einem wunderbaren englischen Akzent) Als Essen gibt es übrigens meist Kekse, aber auch Piroschki und Gemüse.

Die letzte Motion des Tages: THW allow Cloning. Dank Powerpairing ist das der Topraum, wir haben sogar 6 Leute als Zuhörer. Das Geschlechter-Verhältnis 6 zu 2 …  also zwei Männer. Anna und ich gehen in der eröffnenden Regierung völlig unter (und hören auch von anderen Teilnehmer – viele Neulinge – das Thema erfreute sich nicht gerade großer Beliebtheit) Danach geht es zum feiern.

 

Am nächsten Morgen, ja es ist morgens, um 11 Uhr locken Kaffee, Porridge (!) und die Anwesenheitskontrolle. 20 Teams haben überlebt – also sind die letzten beiden Runde schon eine Art kleines Break. Potsdam Alexandrowka mit fünf Punkten macht sich Hoffnungen aufs Break. Die letzten beiden Runden sind geschlossen, es gibt kein Feedback.

 

Die Erste Motion des Sonntags: THW prohibit employees of passenger transport companies to strike. Das ist die einzige Debatte, in der mehr Männer als Frauen redden, 3 zu 5. Potsdam in der schließenden Opposition erzählt warum Streiks der Gesellschaft nützen und berichtet von deutschen Krankenhaus<Ärzten, die über Jahrzehnte nicht streikten und 24 Stunden Schichte schieben für weniger als einen Stundentenlohn und übermüdet Notfälle behandeln sollen.

 

Die letzte Vorrunde des Tages: THW bomb Iranian enrich facilities poducing material for nuclear weapons. Das spannende an diesen Diskussionen ist, wie einige der russischen Studenten von WIR als der westlichen Welt sprechen und andere nicht (egal ob per Zufall in Opposition oder Regierung) einige sehen sich natürlich als zu Europa dazugehörig anderen empfinden Russland zwar als Teil Europas aber nicht Teil des Westens.

 

Zur Breakverkündung gibt es ein kleines Buffet, hier haben selbst die Chefjuroren Hand angelegt. Evgeny Akulich und seine künftige Frau und bis weit nach Mitternacht Salate vorbereitet: Das sei schon Haussklaverei, meint der Chefjuror.

 

Potsdam Alexandrowka breakt an siebter Stelle, mit 9 Punkten. Die Motion fürs Halbfinale: THBT developed countries sould not provide direct food aid to developing countries except in emergency cases. Ich ziehe das Los für die Eröffnenden Regierung. Und dank gutter Teamarbeit in der Vorbereitung konzentrieren wir uns auf zwei Argumente: Anreize sich selbst um Essen zu kümmern und fairer WEttbewerb für die Bauern vor Ort, die ja gegen Gratis-Essen ankämpfen müssen. Damit gewinnen wir die Debatte und stehen:

 

Im Finale der HSE Open, Moskau 2010.

 

Dessen Motion: THW prohibit involvement of religious insitutions in education. Potsdam in der schließenden Regierung erläutert, dass man keine Priester braucht, um Religion zu lehren. Gerade deren mangelnde Distanz sei die Gefahr. Außerdem sollte die Schule überprüfbares Wissen lehren und ob es ein Paradies nach dem Tod gibt…Während Anna die kühle Analyse in ihrer Extension macht, brche ich in meiner Schlussrede mit den Klischees über Deutsche: Als humorlos, logisch gelten wir.

 

Kondome sind sinnvoll, das hätte jeder der Zuhörer bestimmt schon gemerkt – woraufhin die Zuhörer zustimmend lachen. Und es sei doch nicht in ihrem Sinne, wenn mit ihren Steuergeldern in der gleichen Schule dann jemand erzählt, dass Kondome zur Hölle führen.

 

Mit weiteren Beispielen ziehen wir die Debatte auf unsere Seite und freuen uns am Ende über Pokal und Urkunde. Der Pokal wandert in Annas Trophäenschrank, die Urkunde – mit Goldschrift – wandert nach Potsdam.

 

Ach ja, wer war eigentlich Top of the Tab? Nun, einmalig, so Chefjuror Akulich: Mit derselben Punktzahl, drei Redner, pardon, drei Rednerinnen.

Fazit: Ein schönes Turnier mit ambitionierten Rednern, natürlich vom Niveau nicht so gut wie Belgrad Open oder gar London, aber diese Turniere gibt es ja schon seit vielen, vielen Jahren.

 

Und die HSE Open waren dieses Jahr die ersten und wir freuen uns schon auf die nächsten. Was wirklich überrascht war die engagierten Rednerinnen, aber warum das so ist, davon ein andermal mehr.

Von: Mathias Hamann

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